Zwischen 2021 und 2023 habe ich mich intensiver mit dem Thema Mutterschaft in den darstellenden Künsten beschäftigt. Während einer DISTANZ SOLO Förderung entstand die Fotostrecke BEARING BODIES CAR(RY)ING MUMS. Darauf folgte das von Liz Rech und Sylvi Kretzschmar initiierte und kuratierte Projekt BEYOND RE:production und in Anlehnung daran das KURTAGEBUCH.
Das performative Rechercheprojekt BEYOND RE:production setzt sich thematisch mit dem Bild von Mütterlichkeit in der Gegenwart auseinander. Es versteht sich als Versuch einer Bestandsaufnahme von gegenwärtigen Umbrüchen, die die Organisation von sozialer Reproduktion betreffen. Dieses Projekt möchte eine Untersuchung unserer Alltagskultur vorschlagen, denn „Alltäglichkeit macht häufig unsichtbar“ (Felicita Reuschling).
Eine Recherche über Rollenbilder zwischen Künstler:innendasein und Mutterschaft
Als Tänzerin, Choreografin und zweifache Mutter verhandle ich mein eigenes Wirken stets in Beziehung. Ich bin Mutter VON, arbeite als Choreografin und Tanzvermittlerin MIT und als Tänzerin FÜR andere Menschen. Während sich meine Rollenbilder stets auf ein Gegenüber ausrichten, ist mein Körper in einem ständigen Prozess der Anpassung: nähren und rückbilden, Formen bilden und brechen, Impulse geben und in Resonanz treten.
Ausgangspunkt meiner Recherche im Rahmen von DIS-Tanz-Solo war die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper als Archiv dieser Rollenbilder. Im Studio habe ich mich zunächst intensiv mit der Frage beschäftigt, welche verkörperten Erinnerungen und Zuschreibungen präsent sind, ohne das direkte Gegenüber und den Relationen VON, FÜR und MIT?
Schnell wurde deutlich, dass die Omnipräsenz der Mutterschaft als Rollenbild einen dominanten Einfluss auf meine weiteren Zuschreibungen hatte, was sich zum einen durch strukturelle Bedingungen (z.b. Arbeitszeit, also Zeit für Kunst ist Kitazeit), zum anderen durch die Realität der Arbeitsweisen (Stichwort Flexibilität und Pragmatik, z.B. Kind krank, also Kind dabei bzw. Umstrukturierung der kompletten Woche und Arbeitsverhältnisse), aber auch durch das Einschreiben von körperlichen Spuren (körperliche Verhärtungen durch permanentes und einseitiges Tragen, Rundung im Oberkörper durch Stillen, Schlafmangel, weichere Faszien durch Hormonumstellung etc.) begründet.
Wenn ich Mutterschaft auf der Bewegungsebene betrachte, ist für mich ein zentrales Motiv das Tragen: Tragen, sowohl physisch als auch emotional (vgl. mental load). Gemeinsam mit der Mutter, Performance Künstlerin und Fotografin Anja Winterhalter entwickelte ich eine Fotoserie zum Bewegungsphänomen Tragen. Die Fotos inszenieren das Spannungsfeld zwischen (Über)Ladung und Balanceakt, der sofort aus dem Gleichgewicht gerät, sobald ein Element ins Wanken kommt. Ausgehend von rekonstruierten Posen meines Rollenbildes der Tänzerin, spielten wir mit der Akkumulation von Spielzeugen unserer Kinder. Wichtig war uns dabei, dass die Fotos Ausdruck von Ambivalenz sind: zum einen gibt es die konkrete, performative und humorvolle Ebene durch die Anhäufung der Spiel- und Gebrauchsartikel von Kindern auf dem weiblichen Erwachsenenkörper, zum anderen bleibt ein Grad der Abstraktion: Jedes der Motive fungiert als doppelte Ebene der Ästhetisierung, indem sie den Körper verändern, in der Aussage konterkarieren oder zum Accessoire werden: zum Kragen, zur Schwimm- oder Schlafbrille…
Für mich ist die Recherche nicht nur eine persönliche Reflexion meiner Rollenbilder, sondern zugleich auch eine gesellschaftliche Positionierung. Mutterschaft und Künstler:innendasein ist auch heute oftmals noch ein Entweder Oder Phänomen und von vielen Hürden und struktureller Benachteiligung gekennzeichnet. In diesem Sinne möchte ich einen Beitrag für mehr Sichtbarkeit dieser Thematik leisten und plädiere für eine solidarische Haltung und einen diversen Mutterschaftsbegriff (nicht nur in der Kunst).
Bearing Bodies Car(ry)ing Mums wurde gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Programm NEUSTART KULTUR, Hilfsprogramm DIS-TANZEN des Dachverband Tanz Deutschland.
„früher habe ich Residenzen gemacht, heute mache ich Mutter-Kind Kuren“
Eine performative Video Auseinandersetzung und ein subjektiver Blick auf das Thema Mutter-Kind Kuren. Die Idee für die Videoarbeit entstand während dem performativen Recherche Projekt BEYOND RE:Production von Liz Rech und Sylvi Kretzschmar. Neben einem gemeinsamen Blog (https://motheringintheperformingarts.wordpress.com)
und einer installativen Ausstellung auf Kampnagel, entstand die Lecture Performance MOTHERING MOVE(S), im Rahmen von Focus Tanz #9 auf Kampnagel (1.-5.3.2023). Nachdem dieser Zeitpunkt mit meiner lang geplanten Mutter-Kind-Kur zusammenfiel, entwickelte ich einen Videogruß für die Lecture Performance (eine Kurzversion dieses Kurtagebuchs). Im Sinne aller abwesenden Mütterstimmen ist dieser auch ein Statement zur Unsichtbarkeit von Mutterschaft in den darstellenden Künsten.